1. Symphonie

Band 1 (I/1/1) in zwei Teilbänden: 1. Symphonie op. 38, herausgegeben von Timo Evers. 2022, XXXII + 753 S. Mit Faksimile-Beiheft, 80 S. Teilband 1 (I/1/1,1): Noten und Dokumente; Teilband 2 (I/1/1,2): Kritischer Bericht

Symphonie op. 38, Titelseite der Originalausgabe des Klavierauszugs zu vier Händen, Handexemplar Schumanns, D-Zsch; Archiv-Nr.: 4501,6–D1/A4

Die 1. Symphonie B-Dur op. 38 ist das erste Werk dieser Gattung, das Robert Schumann vollständig ausführte und unmittelbar darauf erfolgreich zur Aufführung brachte. Ende Januar 1841 im Particellentwurf innerhalb von nur vier Tagen skizziert und bis Ende Februar vorläufig instrumentiert, schlossen sich bis kurz nach der Uraufführung am 31. März 1841 unter Felix Mendelssohn Bartholdys Leitung im Leipziger Gewandhaus und dann wieder bis zur im Spätsommer einsetzenden Drucklegung der Orchesterstimmen diverse Revisions- und Korrekturphasen an. Die gedruckten Orchesterstimmen erschienen schließlich noch im November 1841 bei Breitkopf & Härtel, ein vierhändiger Klavierauszug folgte im Mai 1842, ebenfalls durch dieses Verlagshaus auf den Markt gebracht. Auf den Druck der Partitur verzichtete man allerdings bis 1852. Sie war bis dato in Form handschriftlicher Kopien durch den Verlag zu beziehen. Gedruckt wurde die Partitur dann im November 1852; Schumann hatte sie zuvor abschließend revidiert und ein paar kleinere Retuschen in der Instrumentation vorgenommen, die auf seinen Erfahrungen im Kontext der Aufführungen dieser Symphonie in den Jahren zuvor beruhten.
Da die authentische handschriftliche Überlieferung dieser Symphonie zu spärlich und auch zu unzuverlässig ist, gewinnt der von Schumann autorisierte Druck der Orchesterstimmen einerseits sowie die erst mehr als zehn Jahre später angefertigte gedruckte Partiturausgabe andererseits umso mehr an Bedeutung. Die Aufführungsgeschichte dieser Symphonie ist jedoch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein durch das Problem gekennzeichnet gewesen, daß die gedruckten Orchesterstimmen und die in derart großem zeitlichen Abstand erschienene und in einigen Stellen stark abweichende gedruckte Partitur nach Veröffentlichung der letzteren offenbar niemals synchronisiert worden sind. Zumindest ist keine authentische korrigierte und revidierte Neuauflage der Originalausgabe der gedruckten Orchesterstimmen bekannt, in welcher man zumindest die gröbsten Fehler und die doch recht überschaubar bleibenden Retuschen in der Instrumentation angeglichen hätte. Es existiert lediglich eine Plattenauflage, in der man zwei Kleinigkeiten jeweils sowohl in der zweiten Klarinettenstimme als auch in der Violoncello-Contrabasso-Stimme behoben hat, was jedoch möglicherweise unabhängig vom Komponisten deutlich vor Entstehung der gedruckten Partitur erfolgt ist. Dieses Problem der teilweise stark voneinander abweichenden Stimmen- und Partiturausgabe hatte offenbar zur Folge, daß ein Dirigent, sollten die Unterschiede überhaupt aufgefallen sein, sich in hoher Eigenverantwortung entweder für die ältere Lesart der Stimmen oder für die jüngere der gedruckten Partitur entscheiden und auch eindeutig als solche erkennbare Fehler in den Stimmen korrigieren lassen mußte. Daß dies geschehen ist, ist in einigen der hier erstmals vollständig ausgewerteten Exemplaren der Stimmenausgabe dokumentiert.
Die Edition folgt vornehmlich der von Schumann zuletzt korrekturgelesenen und revidierten gedruckten Partiturausgabe, da sie weitgehend ohne Fehler auskommt und zudem prinzipiell der Fassung letzter Hand entspricht. Die Retuschen, die Schumann in der Instrumentation vornahm, erscheinen im Einzelfall zwar gewichtig, sind aber insgesamt von überschaubarem Maße; es handelt sich mitnichten um eine hinsichtlich Form und Instrumentation vollkommen neugefaßte Partitur, sondern lediglich um relativ wenige revidierte Stellen, die zudem teilweise bereits unmittelbar nach Veröffentlichung der Stimmenausgabe von Schumann in seinen eigenen Aufführungsmaterialien vorgenommen und auch einigen Dirigenten der Symphonie kommuniziert worden sind. Über die Unterschiede zwischen Stimmenausgabe und originaler gedruckter Partitur informiert der Revisionsbericht.
Da die Werkgenese dieser Symphonie nach Niederschrift des noch stark vorläufigen Partitur-Arbeitsmanuskripts kaum dokumentiert bzw. überliefert ist, sind die erhaltenen, in nahezu sämtlichen musikalischen Parametern noch deutlich vom Endergebnis abweichenden ersten Niederschriften der Symphonie, nämlich der autographe Particellentwurf und das genannte Partitur-Arbeitsmanuskript von umso größerem Interesse. Sie gewähren zumindest einige flüchtige Einblicke in den Entstehungsprozeß der Symphonie und zeigen wohl auch die Fallstricke, mit welchen sich Schumann bei der Komposition dieser Symphonie konfrontiert sah, die er – das belegen diverse Dokumente – eindeutig als vollkommen neuartigen, in unvergleichlicher Weise poetisch gefaßten Gattungsbeitrag konzipierte. Deutlich wird dies besonders im Vergleich des inhaltlich unvollständigen Particellentwurfs – einige Abschnitte sollten vermutlich direkt in der Partitur ausgearbeitet werden – mit dem autographen Partitur-Arbeitsmanuskript, von welchem zwar frühere, offenbar auf verschollenen Blättern notierte und dann verworfene Abschnitte fehlen, das dennoch von Schumanns Ringen gerade hinsichtlich der Instrumentation zeugt.
Vor diesem Hintergrund wurde der offenbar innerhalb von nur vier Tagen entstandene Particell-Entwurf hier erstmals vollständig im Anhang übertragen und durch einen kritischen Apparat erschlossen. Von dem Partitur-Arbeitsmanuskript werden ausgewählte Beispiele ebenfalls in Übertragung bereitgestellt. Die im Original genutzten unterschiedlichen Schreibmittel werden durch Graudruck (Blei im Original) und Schwarzdruck (schwarzbraune Tinte ebendort) dargestellt.
Für die Edition erstmals konsultiert werden konnten zudem zwei erst seit kürzerem bekannte Partitur-Abschriften von fremder Hand, die zwar keinerlei direkten Bezug zu Schumann aufweisen, jedoch eindeutig aus den 1840er Jahren stammen und damit zeitlich noch deutlich vor dem erst 1852 erfolgten Partiturdruck zu verorten sind. Es handelt sich zum einen um eine Abschrift für die Utrechter Konzertgesellschaft Collegium Musicum Ultrajectinum, welcher eine wichtige Funktion in der frühen Rezeption der Symphonie und damit der frühen Schumann-Rezeption in den Niederlanden insgesamt zugeschrieben werden muß; zum anderen ist eine Partiturabschrift von der Hand Johann Gottfried Kuntschs, Schumanns frühem Zwickauer Musiklehrer, bekannt geworden. Beide Partituren sind im Kritischen Bericht erstmals ausführlich beschrieben und kontextualisiert worden. Stichproben zeigen zudem, daß es sich um solche Quellen handelt, welche grosso modo weitgehend mit dem 1841 veröffentlichten Stimmendruck übereinstimmen und damit wohl auch dem Stand der zu dieser Zeit von Breitkopf & Härtel vertriebenen verschollenen Partitur-Abschriften entsprechen. Im Kontrapunkt zu den für die vorliegende Edition gleichfalls konsultierten Exemplaren des originalen Stimmendrucks und den dort zu findenden, teilweise noch aus Schumanns Lebzeiten stammenden Korrekturen und sonstigen Eintragungen, darunter etwa auch solche autographer Art im Exemplar des Düsseldorfer Musikvereins, gewähren diese Partiturabschriften wertvolle Aufschlüsse über Fragen bezüglich der Provenienz abweichender Lesarten, ob es sich nämlich in den einzelnen Fällen um Stich- und Druckfehler, um nicht sanktionierte Eingriffe fremder Hände oder doch um authentische Revisionen handelt.
Die Gestalt des Notentextes war und ist untrennbar mit der Aufführungsgeschichte dieser Symphonie verbunden: Wie bereits angedeutet, gewann Schumann im Zuge der Aufführungen, die er selbst miterlebte, zunehmend an Erfahrung, welche er in Korrespondenz mit so namhaften Dirigenten wie Felix Mendelssohn Bartholdy, Louis Spohr, Ferdinand David oder Wilhelm Taubert bis zur Drucklegung der Partitur 1852/53 in den Notentext sukzessive einfließen ließ. Obwohl zwischen Ende 1841 und Ende 1852 offenbar nur überteuerte, vom Verlag vertriebene, teilweise aber auch auf Eigeninitiative hin angefertigte handschriftliche Partituren verfügbar waren und einige Aufführungen sogar ohne Partitur dirigiert worden sind, hinderte dieses von den Zeitgenossen immer wieder beklagte Problem die Symphonie nicht an ihrem langfristigen Erfolg: Schumann selbst hielt in zwei getrennt voneinander angefertigten Listen die ihm bekannten Aufführungen seiner 1. Symphonie op. 38 seit ihrer Uraufführung fest; für die vorliegende Werkgeschichte konnten zahlreiche weitere ermittelt werden.
Demnach beläuft sich die Zahl bis zu Schumanns Tod am 29. Juli 1856 auf mehr als 80 nachgewiesene Aufführungen; die Dunkelziffer bisher nicht erfaßter Aufführungen dürfte wesentlich höher sein. Trotz teilweise kritischer Stimmen konservativer Parteien in der zeitgenössischen Berichterstattung prägte diese Symphonie, mit welcher Schumann – abgesehen von seinem unvollendet gebliebenen Jugendsymphonie-Projekt Anhang A3 – als Orchesterkomponist debutierte, das eher gemischt bis positiv ausfallende öffentliche Bild seines symphonischen Könnens sowie grundsätzlich seiner künstlerischen Leistung in der zu seiner Zeit bereits historisch werdenden Gattung. Zahlreiche neu aufgefundene und hier teilweise erstmals ausgewertete Dokumente zeigen auf vielfältige Weise die Facetten seines künstlerischen Schaffens im Dialog mit den Zeitgenossen und zugleich die Voraussetzungen und Tendenzen der noch zu seinen Lebzeiten erfolgten frühen Rezeption Schumanns als Symphonie-Komponist: Korrespondenz und Rezensionen zeigen deutlich einen Wandel von einer Symphonie, deren Aufführung der Komponist trotz teilweise großen Interesses namentlich dem näheren Kreis der NZfM angehörender Musiker zunächst erkämpfen mußte, galt die Symphonie doch teilweise noch als schwer spiel- und interpretierbar. Dagegen war sie zu Beginn der 1850er Jahre ein viel und offenbar auch gerngespieltes Stück, wobei Negatives nun nicht mehr unbedingt der Komposition, sondern der individuellen, angeblich nicht sorgsam genug vorbereiteten Aufführung angelastet wurde.
Deutlich wird auch, daß diese Rezeption, mag Schumann auch so manchen Widersacher letztendlich nicht endgültig mit dieser Symphonie überzeugt haben, inhaltlich anderen Schwerpunkten folgt als die spätere: Das erst im ausgehenden 19. Jahrhundert aufkommende und dann das gesamte 20. Jahrhundert wie ein roter Faden durchziehende Vorurteil, Schumann habe es an der notwendigen Befähigung zu guter Instrumentation gemangelt, begegnet in den hier zitierten Briefen und Rezensionen mitnichten, vielmehr wird ihm eine besondere Begabung auch in dieser Hinsicht attestiert. Andere Beispiele einer anders geprägten frühen Rezeption im Vergleich zur akademischen des 20. Jahrhunderts könnten hier aufgezählt werden, doch sei an dieser Stelle statt dessen auf den entsprechenden Dokumentenanhang verwiesen.
Ziel dieses umfangreichen Dokumentenanhanges ist es, die Geschichte der Symphonie, die Voraussetzungen unter welchen sie entstand und immer wieder in unterschiedlicher Gestalt aufgeführt wurde, die beteiligten Personen und die gesamte Bandbreite ihrer Interessen und vielfältigen Urteile mittels originaler Zitate überhaupt erst erfahrbar und nachprüfbar werden zu lassen. Daß es sich hierbei nur um eine Auswahl handelt, wobei bisweilen nur für die Werkgeschichte dieser Symphonie relevante Textteile zitiert werden, scheint ob der Vielzahl und Vielfalt privater und öffentlicher Reaktionen selbstverständlich. Allerdings ist mit dieser Auswahl die Hoffnung verbunden, die großen Tendenzen in extenso so ausgiebig wie notwendig und so knapp wie möglich getroffen zu haben. Die Navigation innerhalb dieses Anhanges wird durch eine vorangestellte Aufführungstabelle, in welcher die Aufführungen gleichsam chronologisch gelistet und durch einen ausführlichen Anmerkungsapparat nachgewiesen sind, aber auch durch ein vorangestelltes Verzeichnis der zitierten Briefe erleichtert. Jedes Dokument wird durch einen Kopf eingeleitet, welcher im Falle der Briefe die notwendigen Informationen über Adressanten und Adressaten, Ort, Datum sowie über den Aufbewahrungsort in einem Archiv enthält. Sämtliche Dokumente enthalten zudem einen sich auf das Notwendigste beschränkenden Anmerkungsapparat, welcher zum Verständnis des Textes beitragende Informationen zu den historischen Hintergründen enthält.