Editionsrichtlinien zur Dokumentation und Edition von Skizzen und unvollendeten Werken

C Robert-Schumann-Forschungsstelle, Düsseldorf, 2. Fassung 1995

1       Funktion und Zweck

2       Faksimile-Beiheft

2.1     Herstellungsvorlage

2.2     Layout und typographische Gestaltung

2.2.1   Titelei und Seitenzählung

2.2.2   Kopftitel

2.2.3   Anordnung der faksimilierten Seiten

2.2.4   Randleisten

2.2.4.1 Satz- und Werktitel, Zwischenüberschriften

2.2.4.2 Akkoladen- und Systemzählung

2.2.4.3 Taktzählung

3       Redigierte Transkription

3.1     Auswahlkriterien

3.2     Transkriptionsregeln

3.2.1   Notentext

3.2.2   Worttext

4       Erläuterungen des Herausgebers

4.1     Zur Faksimilierung

4.2     Übertragung

4.3     Kommentar

5       Anhang zur Terminologie

–> Arbeitsmanuskript
–> Entwurf/Skizze
–> Nebenskizze
–> Textschicht
–> Werkfragment
–> Werktext

6       Register

Die hier in einer zweiten, erheblich erweiterten und geänderten Fassung vorliegenden „Editionsrichtlinien zur Dokumentation und zur Edition von Skizzen und unvollendeten Werken“ formulieren einen, den aktuellen Stand der Editionserfahrung reflektierenden Orien­tierungsrahmen für die Mitarbeiter der RSA (Robert Schumann. Aus­gabe sämtlicher Werke). Eine dogmatische Fixierung von Editionsregeln ist im Falle der Skizzenedition weder möglich noch wünschenswert, weil sie manchen, speziell zu lösenden Quellen-problemen nicht gerecht werden könnte. Herausgeber, Korreferent und Editionsleitung sind daher gehalten, im editorischen Einzelfall auftretende besondere Probleme in enger Zusammenarbeit individuell zu lösen. Die nachfolgend herangezogenen Beispiele stimmen mit der bisher geübten Transkriptionspraxis innerhalb der RSA teilweise nicht überein.
Die im Register (siehe 6) erfaßten und weitere Stichworte sind im folgenden Richtlinien-Text kursiv gesetzt. Stichworte, die bei ihrem erstmaligen Auftreten zusätzlich mit –> versehen sind, werden im Anhang zur Terminologie (siehe 5) definiert.

1 Funktion und Zweck

Zur historisch-kritischen Edition abgeschlossener –> Werktexte tritt in der RSA die Dokumentation und Teil-Edition von Texten und Textstadien hinzu, die – aus der Sicht des abgeschlossenen Werktextes – kompositorische Vorstufen oder –> Werkfragmente gleichen Gattungszusammenhangs darstellen.
Es handelt sich demnach um
–> Entwürfe/Skizzen,
–> Textschichten (verworfene, frühere Detailfassungen innerhalb von Entwürfen/Skizzen und –> Arbeitsmanuskripten) und um
–> Werkfragmente oder verworfene Werkteile.
Zweck der Dokumentation und Edition ist es, die Genese des Kompo­sitionsprozesses, verschiedene kompositorische Problemlösungsver­suche, sowie Werkfragmente (d.h. Entwürfe, die nicht zu einem Werkganzen ausgereift sind), zu erschließen und damit für weitere wissenschaftliche Forschungen bereitzustellen.
Die Dokumentation besteht in der Faksimilierung von Quellen (siehe 2), ihrer inhaltlichen Erschließung durch Randleisten (siehe 2.2.4) und gegebenenfalls einem Kommentar (siehe 4.3).
Die Edition besteht in der redigierten Transkription der faksimi­lierten Quelle (siehe 3).
Bei der Erschließung von –> Entwürfen/Skizzen und Textschichten (nachfolgend unter der Bezeichnung „Opus-Skizzen“ zusammengefaßt) einerseits und von verworfenen Skizzen und Werkfragmenten andererseits liegen unterschiedliche Kontext- und Problem-situationen vor, die spezifische dokumentatorische und editorische Schwierigkeiten zur Folge haben.
Eine Opus-Skizze geht in einem abgeschlossenen und im Regelfall durch eine Originalausgabe autorisierten Werktext auf. Dieser Skizzen- bzw. Entwurfs-Typus besitzt im zeitlich nachgeordneten Werktext eine klärende Referenzquelle, welche bei der Entzifferung problematischer Entwurfs-Lesarten hilfreich sein kann.
Dagegen kennen verworfene Skizzen und Werkfragmente oder ver­worfene Werkteile (verworfene Teilfassungen) keinen mit ihnen in­haltlich korrespondierenden, nachgeordneten Werktext. Ihnen fehlt die Referenzquelle, aus deren Retrospektive sich zweifelhafte Lesarten eines Entwurfs klären ließen.

2       Faksimile-Beiheft

Das Faksimile-Beiheft wird dem Hauptband in einer speziellen Tasche des Rückendeckels lose beigegeben, um dem Leser den Ver­gleich von faksimiliertem Quellentext mit der redigierten Tran­skription und dem edierten Werktext bzw. Werkfragment zu erleichtern. Der Umfang des Faksimile-Beihefts sollte (einschließlich Titelei) 64 Seiten nicht überschreiten.
In schwarz-weiß Reproduktionen werden faksimiliert
– die oben unter 1 genannten Quellen,
– andere handschriftliche Quellen, deren besonderes Erscheinungs- bild und deren Quellenrang eine Reproduktion nahelegen (z.B. Albumblätter von Quellenwert, Gedichtabschriften, autographe Titelblatt-Entwürfe, etc.) und
– Titelblätter von Druckausgaben, sofern sie werkgeschichtlich, inhaltlich oder in künstlerischer Hinsicht aufschlußreich sind (z.B. die Titelblätter der Druckausgaben zu op. 68 und op. 79).
Werkfremde Bestandteile innerhalb einer Handschrift werden, sofern sie räumlich nicht von dem für den jeweiligen Band relevanten Quellentext getrennt werden können oder nicht in einem unangemes­senen übergewichtigen Verhältnis zum relevanten Quellentext ste­hen, ebenfalls faksimiliert und durch Randleisten inhaltlich er­schlossen. Nicht-identifizierte Entwürfe oder Werkfragmente werden ebenfalls in den Randleisten als solche benannt (z. B. „Entwurf zu einem unbekannten Werk“).
Das Originalformat der Quelle wird verkleinert wiedergegeben, so­fern das Originalformat (wie in den meisten Fällen) den Satzspie­gel (20 x 16 cm bzw. 25 x 20cm) des Faksimile-Beihefts überschreitet. Auf die reprographische Wiedergabe gänzlich leerer Seiten einer Quelle wird im Faksimile-Beiheft möglichst verzichtet.
Bei reicher Quellenüberlieferung ist eine sinnvolle Auswahl der zu dokumentierenden Quellen zu treffen und im Kommentar (siehe 4.3) zu begründen. (Die Originalformate sowie die Lokalisierung leerer Seiten sind im Hauptband im Kapitel Quellenbeschreibung angegeben.)
2.1     Herstellungsvorlage
Die Herstellungsvorlage zum Faksimile-Beiheft besteht aus
– Titelei (siehe 2.2.1),
– mit Kopftiteln (siehe 2.2.2) und Randleisten (siehe 2.2.4) versehene Photokopien der zu faksimilierenden Seiten sowie
– den reprofähigen Schwarz-weiß-Abzügen (hochglanz, Mindestformat 13 x 18 cm).
Der Herausgeber beschafft vom jeweiligen Quellen-Eigentümer bzw. der Besitzerinstitution
– eine schriftlich erteilte Veröffentlichungsgenehmigung für die Faksimilierung und die Transkription,
– klärt die offizielle Zitierformel der Institution oder des Privatbesitzers sowie die korrekte Schreibung der Quellensignatur,
– läßt in Absprache mit der Editionsleitung bzw. dem Korreferenten die Reproduktionsvorlagen von einem Fachmann erstellen und
– bürgt für die inhaltlich einwandfreie und vollständige Text-Wiedergabe der Photo-Vorlagen.
Retuschen in den Vorlagen sind unerwünscht und nur in triftigen Ausnahmefällen in Absprache mit der Editionsleitung vorzunehmen.
Die im Beiheft geplante Anordnung der faksimilierten Seiten (siehe 2.2.3) ist vom Herausgeber auf den Rückseiten der Photos durch Numerierung (mit Bleistift) festzulegen.
2.2     Layout und typographische Gestaltung
Die typographische Gestaltung, sofern sie im folgenden nicht angesprochen wird, obliegt der Editionsleitung und dem Verlag.
2.2.1   Titelei und Seitenzählung
Der Umschlagtitel ist identisch mit dem des Hauptbandes und erhält darüber hinaus den Zusatz „Faksimile-Beiheft“. Die Rückseite des Umschlags enthält die englische Übersetzung der Titelei, die vom Verlag veranlaßt wird. Das Faksimile-Beiheft enthält kein Inhaltsverzeichnis.
Die unten rechts (recto)/links (verso) angebrachte Paginierung des Beihefts beginnt mit der ersten Photo-Reproduktion auf Blatt 2r (unten rechts) mit „3“ und läuft bis zur letzten bedruckten Seite fort. Seite 3 enthält rechts unten den Herausgeber und Copyright-Vermerk: „Herausgegeben von [Vor- und Nachname des Herausgebers] / C  [Erscheinungsjahr] B. Schott`s Söhne“
2.2.2   Kopftitel
Über der jeweils ersten Seite einer faksimilierten Opus-Skizze bezeichnet der Kopftitel die reproduzierte Quelle nach folgendem inhaltlichen und typographischen Muster (Kapitälchen):
Arbeitsmanuskript AM1 zu op. 69 und 91
(US-NYpm, The Mary Flagler Cary Collection; Sign.: Cary 514)
Der Kopftitel zu einer exemplarisch reproduzierten Seite einer Hauptquelle ist nach folgendem Muster zu gestalten:
Missa sacra op. 147, Partitur P, Beginn des Credo, T. 1 – 4
(D-B; Sign.: Mus. ms. autogr. R. Schumann 6)
2.2.3   Anordnung der faksimilierten Seiten
Im Faksimile-Beiheft orientiert sich die Anordnung der faksimi­lierten Seiten einer gesamthaft wiedergegebenen Quelle am musikalischen Sinn und an der Beschriftungsreihenfolge und nicht etwa an der faktisch vorgefundenen, (oft zufälligen) Blattfolge des Manuskripts. Der Manuskriptaufbau ist im Kapitel Quellenbeschreibung im Hauptband mit Verweis auf das Faksimile-Beiheft hinreichend darzulegen.
Werden zu einem Werk mehrere und unterschiedliche Quellen faksimiliert, so folgt die Anordnung der Faksimiles der genetischen Reihenfolge: z.B. Entwurf oder Werkfragment, Hauptquelle, sonstige Quellen (Titelblattentwurf etc.).
2.2.4   Randleisten
Jeder faksimilierten Entwurf-Seite wird am linken Seitenrand eine Randleiste beigegeben, die als Orientierungs- und Lesehilfe für den oft schwer überschaubaren und schwer lesbaren Notentext dient (siehe Abb. 1 A und 1 B). Innerhalb der Randleisten dienen Ziffern und Buchstaben in Verbindung mit diakritischen Zeichen (siehe 4.2) als Akkoladen- und Taktzähler (siehe 2.2.4.2 und 2.2.4.3). Sie formulieren das Bezugssystem (Stellennachweise), das auch im Kapitel Quellenbeschreibung, sowie bei der redigierten Transkription und im Kommentar und ggfs. im Revisionsbericht Anwendung findet.
Die Randleiste enthält in gerader Schrift alle auf den Herausgeber zurückgehenden Angaben: Satz- bzw. Werktitel (in Kurzform), Zwischenüberschriften, Akkoladenzähler, Taktzähler und Fortset­zungsverweise (siehe Abb. 1 A und 1 B). Sofern aber in den Randleisten einzelne verbale bzw. numerische Eintragungen aus der danebenstehenden faksimilierten Quellen zitiert werden (z.B. Datierungen, textinterne Querverweise oder Taktverweise), so wer­den diese Zitate kursiv gedruckt. Die Angaben der Randleiste sind räumlich den gemeinten Akkoladen oder Systemen etc. korrekt zuzu­ordnen (siehe Abb. 1 A und 1 B).
Abb. 1 A: Aufbau und typographische Gestaltung der Randleiste
Paginierung und Foliierung
Satztitel
Akkoladenzählung
Taktzählung: gestrichene Takte
Fortsetzungsverweis
Zwischenüberschrift
Taktzählung: gültige Takte
Taktzählung: virtuelle Takte
Abb. 1 B: Randleiste im Verhältnis zum Faksimile
2.2.4.1 Satz- und Werktitel, Zwischenüberschriften
Am Kopf einer jeden Randleiste steht die jeweilige Opus-Nummer und gegebenenfalls die Satz-Zahl. Sofern der Kopftitel auf der betreffenden Seite Werk und Satz eindeutig benennt, muß die Angabe zur Werkzugehörigkeit in der Randleiste nicht nochmals wiederholt werden. Zwischenüberschriften sind jeweils zu Beginn eines neuen Textzusammenhangs (z.B. Beginn eines neuen Satzes oder Werkes oder Anfang einer eingeschobenen –> Nebenskizze) anzubringen. Keinem Werk zuweisbare bzw. werkfremde Textstellen sind ebenfalls durch Zwischenüberschriften zu benennen (z. B. „Entwurf zu einem unbe­kannten Werk“).
2.2.4.2 Akkoladen- und Systemzählung
Gezählt werden mit arabischen Ziffern die Akkoladen bzw. bei ein­stimmigen Notaten die System-Zeilen, wobei die einzelne Zähl-An­gabe jeweils bündig mit der obersten der fünf System-Linien des obersten (Akkoladen)-Systems zu stehen kommt. Ein Doppelpunkt nach der Akkoladennummer trennt die Akkoladenzählung von der nachfol­genden Taktzählung ab (siehe Abb. 1 A). Nur in begründeten Ausnahmefällen (Fehlen eines regulären Zeilenfalls, ineinander verschränkte Akkoladen o.ä.) kann am rechten Rand in einer zweiten Randleiste eine zusätzliche Systemzählung angebracht werden.
Nicht-identifizierte und/oder werkfremde Entwürfe erhalten eine gleichartige, jedoch separate Taktzählung.
2.2.4.3 Taktzählung
Die Taktzählung und das mit ihr verbundene Referenzsystem ist das schwierigste Kapitel der Skizzendokumentation und -edition, für das sich nur einige Grundregeln formulieren lassen.
Die Schwierigkeiten resultieren aus den mehrfachen Aufgaben, wel­che die Taktzählung gleichzeitig erfüllen soll.
Die Taktzählung
a) – verfährt konkordant, indem sie die letzthin gültige Textfas­sung eines Entwurfs durch identische Taktzahlen mit dem Werktext in Beziehung setzt;
b) – erfaßt mechanisch-numerisch die chronologische Position eines Taktes innerhalb eines notierten musikalischen Verlaufs;
c) – benennt mittels genetischer Indikatoren die schreib-chronologische Stellung eines Taktes innerhalb eines Autographs;
d) – deutet in Verbindung mit genetischen Angaben den funktionalen Wandel, den ein Takt im Autograph durchlaufen haben kann;
e) – verweist durch lokalisierende Zusatzangaben auf den Notati­onsort eines Taktes innerhalb eines Kompositionsautographs.
a) Konkordante und b) mechanisch-numerische Taktzählung
Bei Opus-Skizzen orientiert sich die numerische Taktzählung am Werktext. Durch Verwendung gleicher Taktzahlen sollen Opus-Skizze (Faksimile), Transkription und Werktext bei identischen Textteilen unmißverständlich (d.h. konkordant) aufeinander beziehbar sein.
Bei Werkfragmenten, denen naturgemäß ein ausgereifter Werktext als Bezugsquelle fehlt, werden empirisch vorhandene (d. h. reale und virtuelle) Takte gezählt. Liegen zu einem Werkfragment ver­schiedene Textstufen vor, so bestimmt die jüngste, am meisten ausgereifte Textfassung als Bezugsquelle die Taktzählung.
Auftakte oder Taktbruchteile (z. B. bei System- oder Akkoladen-Umbrüchen) werden durch den Zusatz eines hochgestellten Pluszeichens gekennzeichnet.
Beispiel: T.+100
(Lies: Dem Takt 100 geht ein Auftakt oder ein größeres Teilstück des Taktes 99 voraus.)
Bei Wiederholungen werden prima- und seconda-volta-Takte mit der gleichen Taktzahl versehen aber durch nach- und hochgestellte rö­mische Ziffern voneinander unterschieden.
Beispiel: T. 50I  (Lies: Takt 50, prima volta)
          T. 50II (Lies: Takt 50, seconda volta)
Sowohl bei Werkfragmenten als auch bei Opus-Skizzen sind reale und virtuelle Takte zu zählen. Real sind Takte, sofern sie mit einem definitiv gültigen oder gestrichenen Notentext gefüllt sind. Virtuelle Takte können als Taktleerräume auftreten oder in Form von verbalen Wiederholungsangaben (z.B. „dann von A bis B“) oder numerischen Reprisenverweisen (z. B. „4 – 16 eine Quinte höher“) als definitive Bestandteile des Notentextes in Erscheinung treten. In der Randleiste wird auf das Vorhandensein virtueller Takte hingewiesen und der Taktumfang durch Entsprechungszeichen = angegeben.
Beispiel: Randbemerkung = [61 – 78]
(Lies: Durch die [im Faksimile zu sehende] Randbemerkung werden die Takte [61 – 78] in den Notentext eingebracht.)
(Siehe Abb. 1 A und 1 B)
Hinweis: Schumann verwendet neben Taktzählern auch Positionszif­fern (um Länge, Plazierung und Textbezug einer Reprise festzulegen oder um gestrichene Takte zu restituieren (siehe Abb. 2) sowie Verweisziffern oder Verweisbuchstaben, die auf andernorts notierte Texte hinweisen, die an einer bestimmten Textstelle einzufügen sind.
In Entwürfen trägt Schumann häufig Taktzähler ein, die gelegent­lich mit der Zählung der real vorhandenen Takte im Widerspruch stehen. In diesen Fällen ist zu prüfen, ob
a) der fragliche Taktzähler sich auf eine spezifische Textschicht bezieht, welche Veränderungen (z.B. durch versetzte Taktstriche, augmentierte oder diminuierte Takte, Metrumwechsel, Streichungen bzw. Ergänzungen von Takten) erfahren hat oder
b) Schumann Auftakte als Volltakte gezählt hat oder
c) ein Zählversehen des Komponisten vorliegt.
Bei Konzertstücken (z.B. op. 129) zählt Schumann einzelne Form­teile separat, wodurch ebenfalls Abweichungen im Vergleich zur durchlaufenden Herausgeber-Zählung der Werkfassung entstehen. Gelegentlich finden sich in Autographen auch Taktzähler von Schumanns Kopisten bzw. von Forschern. Im Kommentar (siehe 4.3) sollten derartige Probleme, sofern sie Mißverständnisse auslösen können, angesprochen werden.
c) Genetische und d) funktionale Indikatoren zur Taktzählung
Bei Entwürfen und Werkfragmenten wird durch diakritische Zeichen der genetische und funktionale Textstatus eines jeden Taktes gekennzeichnet. Es handelt sich dabei um gültige, unterzählige, überzählige, gestrichene (sukzessive und simultane Textschichten) und restituierte Takte. Dabei werden als diakritischen Zeichen – wie nachfolgend ausgeführt –  die Klammernformen [ ] und < > sowie Unterpunkten und Kommata verwendet.
Gültige Takte, d.h. Notate mit gültigem Notentext, werden bei der Herausgeberzählung in [ ] gesetzt, wobei in der Randleiste nach der durch Doppelpunkt abgetrennten Akkoladen- bzw. Systemzählung Von-bis-Angaben gemacht werden.
Beispiel:     5: [51 – 55]
(Lies: Die 5. Akkolade / bzw. das 5. System enthält die gültige Textfassung der Takte 51 bis 55.)
(siehe Abb. 1 A und 1 B)
Hinweis: Innerhalb der Transkription werden jedoch alle Takte einzeln numeriert (siehe 4.2 und Abb. 2 und 3).
Unterzählige Takte (d.h. im Vergleich zur –> Werkfassung noch „fehlende“ Entwurfstakte) sind durch Zähl-Lücken gekennzeichnet.
Beispiel:      2: [10 – 12], [16 – 18]
(Lies: Die 2. Akkolade enthält die der Werkfassung [oder dem letztem Textstadium eines Werkfragments] entsprechenden gültigen Takte [10 – 12] und [16 – 18]; die Takte 13 – 15 der Werkfassung [bzw. des Werkfragments] sind im Entwurf noch nicht vorhanden.)
Überzählige Takte liegen vor, wenn eine Opus-Skizze quantitativ mehr Takte als die ihm zugehörende Werkfassung aufweist. Überzählige Takte werden in { } gesetzt.
Beispiel:      2: [10 – 12], {13 – 16}, [13 – 18]
(Lies: Die 2. Akkolade enthält gegenüber der Werkfassung sowohl die Takte [10 bis 18] als auch darüber hinaus noch vier zusätzliche, auf Takte 12 folgende Takte {13 – 16}.)
Der Kommentar (siehe 4.3) sollte auf unter- und überzählige Takte eingehen.
Gestrichene bzw. ohne explizite Streichung verworfene Takte werden im Anschluß an die gültigen Takte fortlaufend gezählt, wobei die Taktzähler mit Zusatzbuchstaben versehen und in < > gesetzt wer­den.
Beispiel:      [10 – 14], <15A – 18A>, [15 – 20]
(Lies: Auf die gültigen Takte [10 – 14] folgen vier gestrichene Takte <15A – 18A>, die schließlich durch die gültigen Takte [15 – 20] ersetzt und fortgeführt werden.)
Liegen zu ein und derselben Textpassage mehrere sukzessiv aufein­ander folgende Streichungen vor, so werden diese sukzessiven Textschichten durch weitere Zusatzbuchstaben (B, C, D …) schreib-chronologisch differenziert.
Beispiel:      <12A – 15A>, <12B – 16B>, <12C – 14C>
(Lies: Auf die gestrichene erste Textschicht <12A bis 15A>, folgen sukzessiv eine zweite, <12B – 14BA> und eine dritte gestrichene Schicht <12C – 14C>.)
Hinweis: Schumann verwirft gelegentlich Textpassagen, ohne dies durch eine explizite Streichung kenntlich zu machen. Dies ist an Systemabbrüchen mit nachfolgendem Neubeginn im nächsten System
oder durch anderweitig signifikante Unterbrechungen des logischen Textflusses erkennbar.
Ein restituierter Takt ist das Ergebnis eines zweifachen Funkti-onswandels, den ein Takt innerhalb des Kompositionsprozesses durchlaufen hat: Ursprünglich als gültig notiert, wurde er ge-strichen und später wieder als gültig deklariert. Durch Unterpunkten der in < > angegebenen Taktzahlen wird die Restituierung eines gestrichenen Taktes gekennzeichnet.
Beispiel: [16 – 19], <20A – 24A>, [25 – 28]
(Lies: Die auf die Takte [16 – 19] folgenden Takte <20A – 24A> wurden zunächst gestrichen, dann aber wieder für gültig erklärt und durch die Takte [25 – 28] fortgesetzt.)
Treten bei Restituierungen, bedingt durch den Funktionswandel, Differenzen zwischen der numerischen Position des gestrichenen Taktes und der numerischen Position des restituierten Taktes auf, so kann diese Differenz durch Entsprechungszeichen = gekennzeichnet werden.
Beispiel: <7A> = [8]
Lies: Der gestrichene Takt <7A> wurde restituiert <7A>, nimmt aber in dem nun neu entstandenen Kontext die Stellung des gültigen Taktes [8] ein.
Hinweis: Taktrestitutionen kennzeichnet Schumann durch verbale Zusätze (z.B. „das Ausgestrichene gilt“) oder durch Einzelnumerierung der gestrichenen Takte.
e) Lokalisierende Angaben
Innerhalb der Randleiste wird durch die Verknüpfung von Seiten- (bzw. Folio-) angabe, Akkoladen-(bzw. System-)Zählung und Takt-zählung der Schreibort eines Taktes innerhalb eines Autographs präzise angegeben.
Folgen in ein und derselben Akkolade Taktsequenzen aufeinander, die jeweils unterschiedlichen Textstatus besitzen, so wird die diakritische Taktzählung nach dem jeweiligen Textstatus ausgerichtet, wobei die Angaben durch Kommata zu trennen sind.
Beispiel:      4: [24 – 25], <26A – 30A>, <26B – 29B>, [26 – 27]
(Lies: Die 4. Akkolade enthält die gültigen Takte [24 – 25], worauf zwei unterschiedlich lange, gestrichene Schichten <26A – 30A> und <26B – 29B> folgen, die schließlich durch die gültige Fassung der Takte [26 – 27] ersetzt werden.)
Wird der reguläre Textfluß durch einen Einfügungsverweis oder sonstwie unterbrochen und anderswo fortgesetzt, so wird der Textzusammenhang durch einen Fortsetzungsverweis dargestellt.
Beispiel: –> fol.2r 4: [24]
(Lies: Der hier unterbrochene Text wird auf fol.2r in der vierten Akkolade mit dem gültigen Takt [24] fortgesetzt.)
Hinweis: In Schumanns Autographen ist mit folgenden Formen von Einfügungsverweisen zu rechnen:
a) Das    (= griech. Buchstabe Di-gamma) markiert den Ort der ge­wünschten Einfügung und steht nochmals zu Beginn der Einfügung selbst.
b) Analog steht bei Vide-Verweisen die erste Textsilbe Vi= am Ort der gewünschten Einfügung und die zweite Textsilbe =de am Beginn der separat notierten Einfügung.
Diese beiden Formen von Interpolationen sind stets Revisions- und keine Ad-hoc-Korrekturen.
c) Verbale oder numerische Reprisenverweise (Einfügungs-, bzw. Fortsetzungsverweise) erscheinen beispielsweise in den Formen:
– dann von A bis C (wobei die gemeinten Bezugsstellen mit A, B, C markiert sind)
– von 2 bis 16 (wobei die Takte der gemeinten Bezugsstellen mit Positionsziffern von 2 bis 16 einzeln numeriert sind)
– bei 0 weiter (wobei das Zeichen 0 an der Anschlußstelle wieder­holt wird)
– siehe Beilage (wobei das meist separate Notenblatt explizit als Beilage bezeichnet wird)
Sind die unter c) genannten Einfügungsverweise in den Textfluß integriert, indem sie in einem extra kalkulierten Taktfreiraum niedergeschrieben worden sind, so handelt es sich nicht um Korrekturmaßnahmen, sondern um schreibökonomische Abbreviaturen.

3       Redigierte Transkription

Hinweis: Auf eine redigierte Transkription kann gänzlich verzich­tet werden, sofern die faksimilierte Quelle problemlos entziffer­bar ist und in den Randleisten zum Faksimile kein komplizierter, d. h. kommentarbedürftiger Textfluß dargestellt wird.
Die redigierte Transkription gibt den Text des faksimilierten Au­tographs originalgetreu aber in stilisierter typographischer Form wieder und kennzeichnet durch Einzeltakt-Numerierung den jeweili­gen Textstatus des Notats.
Grundsatz: Jede Transkription muß durch ein Faksimile überprüfbar sein.
Die Umschrift versteht sich lediglich als Lesehilfe; sie hat das scheinbar Fragmentarische der Quelle zu bewahren und verfolgt deshalb nicht das Ziel, einen „rudimentären“ Tonsatz zu „verbessern“ oder zu vervollständigen. Die Transkription redigiert, d. h. sie nähert das originale Schrift- und Textbild dem normierten Stichbild an, soweit dies ohne Sinn-Entstellungen und -Verzerrungen des Quellentextes möglich ist. D.h. bestimmte, definierte Parameter des Textes sind
a) originalgetreu diplomatisch,
b) redigiert und standardisiert,
c) ergänzend,
d) deutend,
e) schichten-differenziert wiederzugeben, während bestimmte gra­phische Aspekte des Textes in der Transkription
f) vernachlässigt werden.
a) Originalgetreu, diplomatisch übernommen werden der Akkoladen-Wechsel bzw. der Zeilen-Fall (d. h. der Umbruch von einer Noten­zeile zur nächsten; siehe Abb. 3), Positionen gültiger und gestrichener Notenköpfe, die Behalsungsrichtung und Balkenform (z.B. Knie), die Pausenwerte und alle nicht-konventionellen Notationssymbole (z.B. Verweispfeile, Einfügungszeichen, Buch-staben-Verweise, Positionsziffern, die Art und Weise der Kanzellierung ganzer Takte).
b) Redigiert, d.h. in regulierter und standardisierter Weise wie­dergegeben werden der Noten- und Singtextuntersatz sowie die Zei­chengröße und -form von diastematischen, rhythmischen und dynami­schen Notationssymbolen und die Orthographie von Worttexten. Negativ formuliert: Alle graphisch schwankenden Zufälligkeiten innerhalb der Quelle werden (da sie keine zeichenhafte, textkonstitutive Bedeutung haben und bei Bedarf aus dem obligatorisch verfügbaren Faksimile ersehen werden können) in der Transkription im Sinne der geltenden Stichregeln normiert.
Hinweis: Verschobener Untersatz im Korrektur-Zusammenhang ist je­doch sowohl hinsichtlich der Bestimmung einzelner Schichten als auch in harmonischer und rhythmischer Beziehung von Bedeutung. In diesen besonderen Fällen muß die Quellensituation diplomatisch wiedergegeben werden. Meistens wird jedoch die Schichten-Darstel­lung in Ossia-Systemen vorzuziehen sein, wobei der Untersatz reguliert wird (siehe 3.2.1 und Abb. 2).
c) Ergänzende Herausgeberzusätze interpretieren entweder mehrdeu­tige bzw. unsichere Lesarten des transkribierten Textes oder relativieren Teile der Transkription hinsichtlich ihrer Eindeutigkeit. Hierbei ist jedoch äußerste Zurückhaltung geboten. Grundsätzlich sind alle Herausgeberzusätze diakritisch zu kennzeichnen (siehe 3.2.1 und 4. 2).
d) Deutend sind jene Herausgeberzusätze, welche ungesicherte (nicht exakt entzifferbare) Notate einer Quelle in der Transkrip­tion einen gemutmaßten Sinn zuschreiben. In derartigen Fällen macht der Zusatz [?] in der Transkription auf die unsichere oder nicht zu sichernde Lesung eines Symbols oder Textteils aufmerksam; ein nicht entzifferbarer, gestrichener Wort- oder Notentext-Teil wird an Ort und Stelle durch <?> wiedergegeben.
e) Schichten-differenziert werden simultane Textschichten (sich überlagernde Lesarten-Änderungen) dargestellt, da in diesen Fällen eine bloß diplomatische Umschrift die Lesarten der Einzelschichten nicht hinreichend klar darzustellen vermag (siehe 3.2.1). Die Transkription von simultanen Textschichten geschieht über Ossia-Systeme (siehe Abb. 2). Wurden im Zuge einer Revision Taktstriche versetzt bzw. Taktinhalte rhythmisch verkürzt oder augmentiert, so liegt ebenfalls eine simultane Schichtung vor, die eine Tran-skription in Ossia-Systemen nahelegt.
f) Vernachlässigt, d.h. in der Transkription nicht berücksichtigt werden graphische Komponenten des Manuskripts, welche keine zei­chenhafte Bedeutung haben und die aus dem Faksimile unmittelbar ersichtlich sind. Es handelt sich hierbei um wechselnde Schrift­grade, unterschiedliche Schreibmittel und variante Tintenfärbun­gen, Abstufungen der Schreib- und Zeichendichte, Tintenabklatsch (Kleckse), Verwischungen u. ä. sowie Korrekturen, die bloßes Schreibversehen richtigstellen. (Konzeptionelle Änderungen, d.h. Änderungen von Lesarten, sind jedoch diplomatisch wiederzugeben.)
Hinweis: Bei Korrekturen und Streichungen sind Ad-hoc-Korrekturen (Sofort-Korrekturen) von Revisionskorrekturen zu unterscheiden. Erstere finden während der ersten Niederschrift, die letztgenann­ten erst in einem weiteren, späteren Arbeitsgang nach Abschluß einer Niederschrift statt. Bei Ad-hoc-Korrekturen sind bloße Schreibfehler-Berichtigungen von konzeptionellen Lesarten-Änderungen zu unterscheiden. Bloße Schreibfehler-Korrekturen sind für die Transkription belanglos; z.B. wird die Umwandlung einer Halben in eine Viertel nicht transkribiert wiedergegeben, wenn es sich bloß um eine spontane Berichtigung handelt. Eine bloße Schreibfehler-Korrektur liegt vor, wenn die Änderung eines Einzelzeichens ohne Lesarten-Konsequenzen im Hinblick auf den Kontext (Stimmenzusammenhang) bleibt. Dagegen müssen konzep-tionsändernde Korrekturen in der Transkription wiedergegeben werden. Freilich ist nicht immer zu entscheiden, welcher Korrektur-Typ im Einzelfall vorliegt. Im Zweifelsfall ist die Korrekturmaßnahme diplomatisch zu transkribieren. Der Kommentar (siehe 4.3) sollte derartige Problemstellen thematisieren.
3.1     Auswahlkriterien
Kann wegen des großen Umfangs ein Entwurf nur auszugsweise transkribiert werden, so sind die Auswahl-Kriterien, die der Transkription zugrunde liegen, im Kommentar (siehe 4.3) anzugeben. Besonders zu berücksichtigen und in Transkription vorzulegen sind Opus-Skizzen und verworfene Werk-Fassungen, verworfene Text­schichten, Nebenskizzen und Werkfragmente. Werkfremde Entwürfe werden nicht, bzw. nur in begründeten Ausnahmefällen transkri­biert.
Bei der unvollständigen Transkription ausgewählter Skizzen-Teile, werden in der Druckausgabe die einzelnen, nicht unmittelbar zusammengehörigen Abschnitte der Transkription durch […] voneinander getrennt, um Textunterbrechung zu kennzeichnen.
Auch wenn eine Quelle nur teilweise transkribiert vorgelegt werden kann, ist sie im Faksimile-Beiheft nach Möglichkeit vollständig zu reproduzieren.
3.2     Transkriptionsregeln
3.2.1   Notentext
Der System-Vorsatz (Schlüssel, Tonartenvorzeichnung) wird, sofern er fehlt oder unvollständig ist, grundsätzlich in [ ] ergänzt (siehe Abb. 3). Fehlende Angaben zur Taktvorzeichnung (Metrum) werden am Satzbeginn nur dann in [ ] ergänzt, wenn der Kontext oder eine eindeutig notierte, nachgeordnete Quelle die Taktver­hältnisse zweifelsfrei bestimmen läßt. Analoges gilt für den Wechsel der Taktvorzeichnung innerhalb eines Satzes.
Der Akkoladenfall (Umbruch der Akkoladen) bzw. Zeilenfall (Umbruch der System-Zeilen) wird in der Transkription nachvollzogen (siehe Abb. 3).
Leere Systeme müssen in der Transkription nachvollzogen werden, sofern sie mit Vorsatz-Zeichen (Schlüssel, Tonarten-Vorzeichen, Taktvorzeichnung) oder sonstwie als geplanter, aber leer gebliebener Schreibraum einer Akkolade (durch die Anwesenheit von Klammern, Verbindungs- oder Taktstriche) erkennbar sind. Leere Systeme, die lediglich zur deutlicheren graphischen Trennung von Akkoladen dienen, werden in der Transkription nicht berücksich­tigt.
Ganz oder teilweise ergänzte Taktstriche werden gestrichelt wie­dergegeben.
In [ ] ergänzt werden Notenhälse, Fähnchen, Balken, Verlängerungspunkte am Notenkopf sowie Pausen und Akzidentien. Diese Symbole werden aber nur in jenen Fällen ergänzt, wenn ohne derartige Ergänzungen grobe Mißverständnisse zu befürchten wären.
Addiert notierte Notenhälse     werden zu einem gemeinsamen Hals zusammengefaßt   , vorausgesetzt die stimmige Notierung wird da­durch nicht verfälscht.
Behalsungsrichtung und Akkordaufbau werden stets diplomatisch wiedergegeben, auch wenn sie den Notationskonventionen widersprechen.
Der Untersatz (die rhythmische Zuordnung der Stimmen) wird reguliert, es sei denn, aus einem verschobenen Untersatz würden Notierungsabfolgen und Textschichten ersichtlich.
Dynamische Angaben werden hinsichtlich des Notierungsortes diplo­matisch, bezüglich der Zeichenform aber standardisiert wieder-gegeben und nie seitens des Herausgebers ergänzt.
Halte-Bögen werden nur im begründeten Ausnahmefall gestrichelt ergänzt. Binde-Bögen sind grundsätzlich nicht zu ergänzen.
Proportionsziffern (Triolen, etc.) können bei der ersten Triole einer Triolengruppe in [ ] exemplarisch ergänzt werden.
Abb. 2: Transkription simultanter Textschichten in Ossia-Systemen
Die Darstellung simultaner Textschichten, die durch korrigie­rendes Überschreiben entstanden sind, kann – sofern diese Textschichten sich definitiv voneinander trennen lassen -, in der Art von Ossia-Systemen geschehen (siehe Abb. 2). Treten Textschichten lediglich in einstimmigen Entwürfen oder bei mehrsystemigen Entwürfen nur im oberen System auf, so wird das Ossia-System über dem Hauptsystem angebracht. Treten Textschichten nur im unteren von zwei oder mehr System auf, so steht das Ossia-System unter dem Hauptsystem. Enthalten zwei oder mehr Systeme aufeinander zu beziehende (korrespondierende) Textschichten, so werden die zwei oder mehr Systeme des Ossia über den Hauptsystemen angebracht. Die Zuordnung paralleler Schichten untereinander und die Zuordnung von Schichten zur gültigen Fassung wird durch gestrichelt verlängerte Taktstriche hergestellt (siehe Abb. 2).
Die Einzeltakte der Ossia-Systeme erhalten alphanumerische Takt­zähler (siehe 2.2.4.2 und Abb. 2) zur Kennzeichnung der Schichten-Chronologie. In der Transkription wird zu Beginn jeder Akkolade in [ ] die Seitenzahl (bzw. die Foliierung) sowie der Akkoladenzähler angegeben. Die Takte sind einzeln und mit dem jeweils zugehörigen diakritischen Zeichen (Klammern, Schichten-Buchstaben) zu numerieren. Diese Taktzähler werden unmittelbar nach einem Taktstrich oben rechts angebracht. Das Zählsystem ist natürlich mit dem der Randleisten des Faksimiles identisch (siehe 2.2.4.2).
Abb. 3: Transkription und zugehöriges Faksimile (Ausschnitt)
1    Ergänzter Kopftitel
2    Foliierung (A II) und Akkoladenzählung (1)
3    Einzeltaktzählung: gültiger Takt [1]
4    Autographe Positionsziffer
5    Diplomatisch nachvollzogener Akkoladen-Umbruch
6    Einzeltaktzählung: nicht explizit gestrichener, aber dennoch
     ungültiger Takt <8>
7    Einzeltaktzählung: gestrichener Takt <7>
8    Einzeltaktzählung: gestrichener, aber restituierter Takt [7]
9    Diplomatisch nachvollzogene Streichung
10   Gestrichene Note
11   Ergänzter System-Vorsatz
3.2.2   Worttext
Textunterlegungen zu Singmelodien werden hinsichtlich des Notie­rungsortes (unter, über, im System) und hinsichtlich der Orthographie diplomatisch wiedergegeben. Grundsätzlich ist der Text in Singsilben zu trennen; im Original vorhandene Silbentrennstriche werden original wiedergegeben (sin-gen), fehlende Trennstriche können in [ ] gesetzt (sin [-] gen) werden. Fehlender Sing-Text soll nur ausnahmsweise und in [ ] ergänzt werden. Verlängerungsstriche am Wortende werden nicht ergänzt. Die Interpunktion des Singtextes wird originalgetreu übernommen aber nicht ergänzt.

4       Erläuterungen des Herausgebers

Die im Anhang nach dem Revisionsbericht im Hauptband plazierten Erläuterungen zur Skizzendokumentation und -edition bestehen aus drei Kapiteln:
Zur Faksimilierung (siehe 4.1)
Übertragung (siehe 4.2)
Kommentar (siehe 4.3)
4.1     Zur Faksimilierung
In diesem Kapitel ist die Anordnung der faksimilierten Entwurfs-Seiten des Beiheftes kurz zu erläutern. Durch Querverweise auf das Kapitel Quellen können Wiederholungen vermieden werden. Bezüglich der Randleisten kann auf das Kapitel Übertragung (siehe 4.2) verwiesen werden.
4.2     Übertragung
Zunächst sind die Auswahlkriterien der Übertragung knapp darzule­gen (siehe 3.1).
Am Ende des Kapitels Übertragung steht folgende Standardlegende. Sie kann gekürzt werden, sofern die in ihr beschriebenen diakritischen Zeichen in den Randleisten und in der Übertragung nicht alle verwendet werden:
Standardlegende:
Herausgeberzusätze innerhalb der Transkriptionen sind durch [  ] und <  > bzw. als Strichelung gekennzeichnet. Diese und weitere diakritische Zeichen treten in folgenden Formen und Bedeutungen auf:
100                  Zählung eines gültigen, d.h. nicht
                     gestrichenen Taktes (in Übereinstimmung mit
                     dem im Hauptband veröffentlichten
                     Werktext). In der Übertragung sind
                     gültige Taktzahlen als Herausgeberzusätze
                     durch [  ] gekennzeichnet, um Verwechslungen
                     mit autographen Zahlenangaben zu vermeiden.
+100                 Takt mit Auftakt oder vorangehendem
                     Taktbruchteil
100I, 100II          prima und seconda volta eines Taktes
{100}                Zählung eines ungetilgten Taktes, der nicht
                     in den Werktext eingegangen ist
<100>                Zählung eines gestrichenen oder eines ohne
                     explizite Streichung verworfenen Taktes.
<100 A>, <100 B>     Zusatzbuchstaben kennzeichnen zeitlich
                     nachgeordnete Schichten des gleichen Taktes
<…100..>           Zählung eines verworfenen, dann aber wieder
                     restituierten Taktes (Aufhebung einer
                     Streichung)
—> fol.2r, 2: 100  Fortsetzung des Notentextes auf fol.2r in der
                     2. Akkolade mit dem Takt 100
[?]                  unsichere Lesung des unmittelbar benachbarten
                     Symbols
<?>                  nicht entzifferbarer, gestrichener Wort- oder
                     Notentext
                     gestrichene Note
                     gestrichener Hals, gestrichenes Fähnchen
                     gestrichener Bogen, gestrichener Balken
                     gestrichener Taktstrich
Das Kapitel Übertragung entfällt ganz, sofern die faksimilierte Quelle problemlos lesbar und durch Randleisten hinreichend er­schlossen ist und eine Transkription sich somit erübrigt. In die­sem Fall bildet die Standardlegende den Schluß des Kapitels „Zur Faksimilierung“.
4.3     Kommentar
Der Kommentar fungiert als Wegweiser durch Faksimile und redi­gierte Transkription und erläutert z.B.
– Fragen der Textdynamik (Schichten und Korrekturen),
– Unsicherheiten der Transkription und Deutung,
– idiographische Eigentümlichkeiten (besondere Notierungsformen),
– Lücken und möglicherweise nicht überlieferte Nebenskizzen,
– den Duktus der Niederschrift (eilig, korrekturintensiv),
– unterschiedliche Schreibmittel (Tinte, Blei, Rötel), sofern sie
  in Verbindung mit Textschichten stehen oder die interne
  Schreib-Chronologie erhellen,
– autographe Taktzähler und daraus möglicherweise resultierende
  Diskrepanzen mit der Herausgeber-Zählung.
Bezieht sich der Kommentar nicht nur auf das Faksimile, sondern auch auf eine redigierte Transkription, so kann der betreffende Kommentarteil zu Beginn und am Ende mit Asterisken gekennzeichnet sein. Diese Art der Texthervorhebung ist zu Beginn des Kommentars zu erklären.

5       Anhang zur Terminologie

–> Arbeitsmanuskript
Ein Arbeitsmanuskript enthält im Unterschied zum Entwurf einen zwar abgeschlossenen, jedoch noch nicht druckreifen Werktext (z. B. das Autograph zum Klavierkonzert op. 54). Dieser Text ist durch vielfältige Umarbeitungen und Revisionskorrekturen (Textschichten) charakterisiert, die von einem kontinuierlichen Arbeitsprozess zeugen. Arbeitsmanuskripten sind entweder separate (d.h. getrennt überlieferte) Entwürfe vorausgegangen oder sie sind (besonders im Falle von Lied-, Chor- und Klavier-Kompositionen) Ergebnis eines in ein und demselben Manuskript stattfindenden Ar­beitsprozesses. Im letztgenannten Fall sind demnach Entwurf und dessen Ausarbeitung innnerhalb eines einzigen Manuskripts vereint überliefert. Während Arbeitsmanuskripte mehr oder weniger voll­ständig in Partiturform notiert sind, liegen bei Entwürfen fast immer verkürzte Notierungen (Particelle, einzeilige Melodie-Skizzen, etc.) vor.
–> Entwurf/Skizze
Kompositorisches Vorstadium zu einem vollendeten Werk oder zu einem Werkfragment. Schumann bezeichnet derartige Schaffensstadien meist als Skizze, manchmal aber auch als Entwurf. Die jeweilige Textgestalt von Entwürfen unterscheidet sich u. a. nach Gattung und Entstehungszeit. Allen Entwürfen gemeinsam ist eine nur aufs vorerst Wesentliche verknappte und abgekürzte, stenographische Notierungsweise, in der lediglich Konturen des späteren Werks erkennbar sind. Angesichts des in der Musikwissenschaft uneinheitlichen Begriffsgebrauchs werden in der RSA Entwurf und Skizze bzw. entwerfen und skizzieren synonym verwendet. Spezifizierende Bezeichnungen wie Particell-Entwurf, Melodie-Skizze, Nebenskizze, Skizzenfragment, Verlaufsskizze, etc. können im Kommentar verwendet werden, sofern sie Sachverhalte erhellen.
–> Nebenskizze
Nebenskizzen können sich in Entwürfen/Skizzen, Arbeitsmanuskripten aber auch innerhalb von Reinschriften befinden.
Bei der Nebenskizze handelt es sich um einen eng begrenzten expe­rimentellen Entwurf, der einer problematischen Textstelle (einer polyphonen Passage; komplexen harmonischen Abfolgen, etc.) voraus­gegangen und außerhalb des regulären Textkontinuums notiert worden ist. Schumann verwendet für diese experimentellen Notate häufig Bleistift statt Tinte. Durch ihre deutliche räumliche Absetzung vom übrigen gesamthaften Kompositionstext sind Nebenskizzen als solche meist leicht zu erkennen.
–> Textschicht
Als Schicht wird immer und ausschließlich ein verworfener Textteil bezeichnet. Schichten treten entweder simultan (bei korrigierender Überschreibung) oder sukzessiv auf (im direkten Schreibanschluß an eine Streichung). Im Regelfall werden eine einzelne Schicht oder mehrere Schichten innerhalb eines –> Entwurfs, eines Arbeitsmanuskripts bzw. eines Werkfragments durch eine gültige Fassung oder Lesart (nicht Schicht!) ersetzt. Bei simultanen Textschichten sind Ad-hoc-Korrekturen von späteren Revisionskorrekturen zu unterscheiden (siehe 3).
Taktzähler zu Schichten werden in < > gesetzt, wobei die den Zah­len nachgestellten und dem Alphabet folgenden Großbuchstaben die Chronologie der Schichten angeben. Die auf eine oder mehrere ver­worfene Textschichten folgende, für das entsprechende Manuskript letztgültige Textfassung wird durch Taktzähler in [ ] und ohne kennzeichnenden Schicht-Buchstaben numeriert. Die Taktzählung dieser letztgültigen Textfassung ist identisch mit dem im Hauptband abgedruckten Werktext.
In der verworfenen Skizze zum Eingangssatz des Requiems op. 148 beispielsweise finden sich ab Takt 14 fünf unterschiedliche Schichten (A bis E), die sich schließlich in einer den Satz ver­vollständigenden, gültigen Fassung [14 – 43] konsolidieren:
[1 – 13]          <14 A – 22 A>
                  <14 B – 37 B>
                  <14 C – 15 C>
                  <14 D – 19 D>
                  <14 E – 18 E>
                  [14 – 43]
Die sich an T. [13] anschließenden fünf Schichten-Takte <14 A, B, C, D, E> und der gültige Fassungs-Takt [14] haben lediglich die gleiche numerische und formale Position innerhalb des Entwurfs; über inhaltliche Ähnlichkeiten oder Divergenzen dieser Takte trifft der Zählmodus keine Aussage.
Wurde eine verworfene Schicht als gültige Fassung restituiert, so wird dieser Funktionswandel durch Unterpunkten gekennzeichnet:
<20 – 24>.
–> Werkfragment
Werkfragmente sind unvollendet gebliebene Kompositionen. Ihnen fehlt eine nachgeordnete Referenzquelle, die zur Klärung fragli­cher Lesarten herangezogen werden könnte. Allenfalls können einem Werkfragment Entwürfe vorausgegangen sein, wobei dann diese Ent­würfe und das Werkfragment als Referenzquellen wechselseitig auf­einander bezogen werden können.
–> Werktext
Unter einem Werktext wird jene Fassung einer Komposition verstan­den, die als Ergebnis des Quellenvergleichs im Hauptband zum Ab­druck gelangt. Er beruht entweder auf den Lesarten einer einzigen Hauptquelle oder ist das Resultat eines Textvergleichs, in dem mehrere Quellen wechelseitig aufeinander bezogenen worden sind (vgl. hierzu die Editionsrichtlinien zum Hauptband).

6      Register

Akkoladen:
– fall 18
– zählung 7, 9, 21
Akzidentien 18
Arbeitsmanuskript 2, 5, 24, 25
Auftakt, siehe Taktzählung
Bogen 19, 23
Copyright-Vermerk 5
dynamische Angaben 16, 19
Entwurf/Skizze:
– nicht-identifizierter Entwurf 4, 9
– verworfene Skizze 2, 3, 12, 18, 26
Fortsetzungsverweis 6, 7, 14, 15, 23
Interpunktion 22
Korrektur:
– ad-hoc-Korrektur 15, 17, 26
– Revisions-Korrektur 15, 17, 24, 26
– Schreibfehler-Korrektur 17
Lücken im Quellentext 12, 24
Metrum, siehe Systemvorsatz
Nebenskizze 9, 18, 24, 25
Noten:
– balken 16, 18, 23
– fähnchen 18, 23
– gestrichene 7, 16, 21, 23
– hals 16, 19, 23
– köpfe 16
– verlängerungspunkte 18
Ossia-System 16, 17, 19
Positionsziffern 11, 15, 16, 21
Proportionsziffern 19
Randleiste 3, 4, 6 – 9, 11, 14 – 15, 20, 22, 24
Redigierte Transkription 3, 6, 15 – 16, 24
Reprisenverweis 11, 15
Retuschen 5
Skizze, siehe Entwurf
Singtext:
– Silbentrennung 22
– Ergänzungen im Singtext 22
Standard-Legende 22 – 24
System:
– leeres System 18
– Vorsatz 18, 21
– Zählung 9, 12, 14
Taktvorzeichnung (Metrum), siehe System-Vorsatz
Taktzähler / -zählung:
– Auftakt, Taktbruchteil 10 – 11, 23
– gestrichene Takte 7, 11 – 14, 21, 23
– gültige Takte 7, 11 – 14, 21, 23
– leere Takte 10, 18
– prima- und seconda-volta-Takte 10, 23
– reale Takte 10 – 11
– restituierte Takte 11, 13 – 14, 21, 23, 26
– überzählige Takte 11 – 12
– unterzählige Takte 11 – 12
– virtuelle Takte 7, 10 – 11
Textdynamik 24
Textschicht 2- 3, 11, 13, 17 -19, 24 – 26
Textunterlegung, s. Singtext
Titel:
– Kopftitel 4 – 5, 9, 21
– Satztitel 7
– Titelei zum Faksimile-Beiheft 3 – 5
– Umschlagtitel 5
– Werktitel 6, 9
Tonartvorzeichnung, siehe System-Vorsatz
Untersatz 16, 19
Veröffentlichungsgenehmigung 4
Verweisziffern 11
Verweisbuchstaben 11
Werk:
– werkfremde Bestandteile 4, 9, 18
– Werkfragment 2 – 4, 6, 10 – 12, 18, 25 – 26
– Werktext 2 – 3, 9 – 10, 24, 26 – 27
Zählung, s. Akkoladen-, System- und Takt-Zählung
Zeilenfall 9, 18
Zitierformel 4
Zwischenüberschriften 6 – 7, 9